(Kein) Bedarf
Sie stehen vor Supermärkten, in der Fußgängerzone oder auf öffentlichen Plätzen: Zu unserem Stadtbild gehören die Verkäuferinnen und Verkäufer eines sozialen Straßenmagazins dazu. Die Verkäuferinnen und Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Durch den Verkauf des Magazins versuchen sie, ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Der Magazinpreis beträgt im Straßenverkauf 2,50 Euro. Davon behalten die Verkäuferinnen und Verkäufer jeweils die Hälfte.
Ich mag dieses Projekt, komme aber auch so schon mit dem Lesen von Zeitungen, Magazinen und Büchern nicht hinterher. Das berührt mich, aber ich will auch nicht um schneller Gewissensberuhigung willen etwas „kaufen“, das ich dann gar nicht wirklich nutze, sondern ungelesen entsorge.
Ich spreche „meine“ Magazinverkäuferin, die vorm Supermarkt um die Ecke, an – wir kennen uns flüchtig, aber längst. Ich erkläre ihr, dass ich Ihr Magazin nicht guten Gewissens kaufen könne, weil das zwar ein schnelles soziales Werk wäre, dem Sinn der Sache aber nicht gerecht würde. Ich sage: Aber wie wäre das: Wir treffen uns in der Adventszeit immer freitags um 15.30 Uhr auf der Bank vor diesem Supermarkt. Ich lese nicht Ihr Magazin, sondern: Ich bringe Ihnen eine Kerze mit (und gerne auch Streichhölzer). Und dann hören Sie, wenn Sie mögen, aus meinem Straßenmagazin: einen adventlichen Abschnitt aus der Bibel. Anschließend hole ich uns vom Bäcker ein „Teilchen“ und einen Kaffee to go und wir schwatzen noch ein bisschen über Gott und die Welt!? Und das war ein Deal, auf den sie sich einlassen mochte – bisweilen unterbrochen vom Verkauf dieses Straßenmagazins. Man kennt sie eben!
Ein Beitrag von Kirchenrat Pfr. Michael Schätzel